Wer hat eine Depression?
"Ich wurde am Kopf notfallmäßig operiert wegen einem gutartigen Hirntumor. Seither habe ich unaufhörliche Schmerzen. Ich bin so traurig, ich kann nur noch mit einem Rollator laufen, kann nicht mehr arbeiten. Ich bin völlig kaputt."
"Ich habe meinen geliebten Mann verloren. Immer wieder überwältigt mich ein tiefer Schmerz, der mich zerreisst. Meine Beine fühlen sich manchmal so schwer an, dass ich nicht mehr gehen. Ich bin so verzweifelt. Nichts macht mir mehr Freude."
"Ich fühle mich so unruhig. Ich kann nicht mehr klar denken und sehe keinen Sinn mehr in der Zukunft. Ich weiß nicht, wie ich mir helfen soll. Ich ertrage diesen Zustand nicht mehr. Ich möchte so nicht weiterleben."
Theorie
Die obigen Aussagen weisen auf drei unterschiedliche Depression hin. Die Einteilung von Depressionen in drei Hauptkategorien - somatogen, psychogen und endogen - ist ein älteres Konzept, das in der modernen Psychiatrie nicht mehr strikt angewandt wird. Dennoch bietet es mir in meiner Praxis einen nützlichen Rahmen, um verschiedene Aspekte depressiver Erkrankungen zu verstehen.
Somatogene Depression
Die somatogene Depression hat ihre Wurzeln in körperlichen Erkrankungen oder physiologischen Veränderungen. Die depressive Symptomatik tritt hier als Begleiterscheinung oder Folge der körperlichen Grunderkrankung auf. Bei dieser Depression achte ich in erster Linie darauf, dass der Klient Hilfe bekommt, um mit der neuen Situation umzugehen und auch alles Mögliche unternimmt, um seine Situation zu verbessern oder anzunehmen.
Somatogene Depression
Die psychogene oder reaktive Depression steht in direktem Zusammenhang mit äußeren Ereignissen oder psychischen Belastungen. Auslöser können sein: Verlusterfahrungen (z.B. Tod eines Angehörigen), traumatische Erlebnisse, anhaltende Stresssituationen. Hier geht es mir vor allem um das Entgegenbringen von Verständnis, das heisst mit der Person in Resonanz zu gehen. Hier geht es um das Zuhören, um Worte des Trostes und um das Gefühl dass das Überwinden des Verlustes oder der stressauslösenden Situation seine Zeit braucht und auch möglich ist. Es geht um das Vermitteln, dass die Person nicht alleine damit ist.
Endogene Depression
Die endogene Depression hingegen zeichnet sich durch eine tiefgreifende Melancholie aus, die scheinbar ohne äusseren Anlass auftritt. Charakteristisch für diese Form sind:
Eine gedrückte Stimmung, die von innen heraus entsteht, Verlust von Freude und Interesse an alltäglichen Aktivitäten, Ausgeprägte Antriebslosigkeit und rasche Ermüdung. Betroffene beschreiben oft ein Gefühl innerer Leere und Hoffnungslosigkeit, das sich nicht durch positive äussere Umstände beeinflussen lässt. Die Ursachen werden primär biologischen Faktoren zugeschrieben, insbesondere Störungen im Neurotransmitter-Haushalt des Gehirns. Hier ist meistens neben einer psychotherapeutischen Begleitung eine zusätzliche Unterstützung durch geeignete Antidepressiva notwendig.
Die endogene Depression kann auch auf frühe Ereignisse in der Kindheit zurückgeführt werden, als eine Reaktion auf Vernachlässigung, sei es emotional oder körperlich. Wenn beispielsweise ein Kind so lange schreien muss, bis es nicht mehr kann, wendet es sich nach innen und reagiert nicht mehr auf äussere Reize. Dieses Sich-nach-innen-Kehren kann auch als Schutzreaktion verstanden werden. Diese Reaktion kann dann auch im Erwachsenenalter auftreten, wenn etwas im Inneren der Person unbewusst angestossen wird und sie auf einmal ohne jeglichen Grund depressiv wird.
Moderne Sichtweise
In der aktuellen psychiatrischen Praxis wird die strikte Trennung dieser Kategorien zunehmend aufgeweicht. Man geht heute davon aus, dass bei den meisten Depressionen eine Kombination aus biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren eine Rolle spielt. Heute wird von einem Kontinuum gesprochen, in dem die verschiedenen Formen ineinander übergehen.
Dies kann dazu führen, dass nicht mehr nach dem Auslöser der Depression gesucht wird, sondern eher die Schwere der Depression eine Rolle spielt. Die Anwendung dieser Art von Klassifikation, die keine klare Grenze zwischen der Melancholie (endogene Depression) und anderen Formen der Depression zieht, führt aber zunehmend zu einer Verstärkung von pharmakologischen Behandlungen von Depressionen.
Unabhängig von der Kategorisierung ist es in meiner Arbeitsweise wichtig, auf die Einzigartigkeit jedes Menschen einzugehen.
Wege aus der Depression
In der bioenergetischen analytischen Behandlung geht es in erster Linie um die Stabilisierung. Dazu dienen eine Vielzahl bioenergetische Übungen, die das Ich stärken und den Atem vertiefen. Die eigentliche Arbeit geschieht durch Aufarbeitung, Konfrontation und eventuel durch die Trauma-Rekonstruktion. Dazu gehört, dass der Schmerz, die Trauer oder die Wut erlebt werden können. Die Anleitung zu mehr Gefühlsausdruck ist besonders wichtig. Die Endlosschlaufe der Gefühllosigkeit muss beendet werden. Verdrängte Gefühle kann man nicht nur im Kopf wieder finden, sondern in Kombination mit Gedanken, Emotionen und körperlichen Empfindungen.
In der letzten Phase der Therapie wird auf die Integration und Festigung neu erlernter Verhaltensmuster geachtet. Es geht um die Fähigkeit sich zu fühlen, sich und andere zu lieben und das ganze Spektrum von Freude, Leid und Lust zu empfinden.
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